Köln – Parkinson ist eine Erkrankung, die den Alltag der Betroffenen oft stark einschränkt. Doch eine neue Technologie könnte nun für eine verbesserte Behandlung sorgen: An der Uniklinik Köln wurde erstmals ein innovatives Hirnstimulationssystem eingesetzt, das sich individuell an die Bedürfnisse der Patienten anpasst. Die Ergebnisse sind vielversprechend und geben Hoffnung auf eine stabilere Symptomkontrolle.
DIE HERAUSFORDERUNG DER PARKINSON-ERKRANKUNG
Patienten mit Morbus Parkinson leiden häufig unter Zittern, Muskelversteifungen und einer eingeschränkten Bewegungsfähigkeit. Diese Symptome entstehen durch eine Störung in der Dopamin-Produktion des Gehirns. Bisher wurden vor allem Medikamente eingesetzt, um diese Defizite auszugleichen. Doch mit fortschreitender Erkrankung lassen deren Wirkung und Verträglichkeit oft nach. Hier setzt die Tiefe Hirnstimulation an: Bereits ca. 300.000 Patienten weltweit haben von dieser Methode profitiert. Durch die Implantation feiner Elektroden in bestimmte Gehirnareale lassen sich die Störungen im Nervensystem gezielt beeinflussen. Bisher geschah dies mit einer konstanten elektrischen Stimulation – nun jedoch bringt eine adaptive Weiterentwicklung neue Vorteile.
DIE ADAPTIVE HIRNSTIMULATION ALS FORTSCHRITT
Die Kölner Neurochirurgen unter Leitung von Prof. Veerle Visser-Vandewalle haben ein neuartiges Implantat eingesetzt, welches die die Hirnaktivität in Echtzeit ausliest und daraufhin die Stimulation individuell anpasst. Dies bedeutet: Statt einer gleichbleibenden Amplitude reagiert das System dynamisch auf die Bedürfnisse des Patienten. Dies soll die medikamentös bedingten Wirkungsschwankungen reduzieren und mehr Stabilität im Tagesverlauf bringen.
Prof. Michael Barbe, Experte für neurologische Bewegungsstörungen, erklärt: „Bisher mussten wir mit einer statischen
Hirnstimulation arbeiten. Nun können wir gezielt auf Phasen erhöhter Symptomatik eingehen und die Stimulation dann verstärken. Das bedeutet mehr Bewegungsfreiheit und eine bessere Lebensqualität.“

Ein exemplarisches Set bilateraler Elektroden, welche zur Behandlung dieser Störung bei einem einzelnen Patienten implantiert wurden, wird gemeinsam mit dem Bündel visualisiert. 3D-Modelle mehrerer subkortikaler Strukturen werden vom DISTAL-Atlas bereitgestellt (Ewert et al., 2018), wobei der subthalamische Kern in orange, der Nucleus Ruber in burgunderfarben, der Globus Pallidus Externus in lila und der Globus Pallidus Internus in orange dargestellt sind. Im Hintergrund ist ein Hirnschnitt der BigBrain Template in 100 µm Auflösung als anatomische Referenz zu sehen (Amunts et al. 2013)
EINFACHERE UMSTELLUNG FÜR BESTEHENDE PATIENTEN
Ein weiterer Vorteil: Patienten, die bereits mit der Tiefen Hirnstimulation behandelt werden, benötigen keine erneute Operation. Die neue Funktion kann durch ein Software-Update aktiviert werden, sofern der eingesetzte Generator kompatibel ist. Diese Entwicklung könnte somit vielen Betroffenen helfen, ohne dass ein erneuter Eingriff notwendig ist. Neben der Anpassung an individuelle Bedürfnisse bringt diese Neuerung auch eine verbesserte Energieeffizienz. Da die Stimulation nur dann aktiv ist, wenn sie wirklich benötigt wird, könnte die Lebensdauer der Implantate erheblich verlängert werden. Dies bedeutet für Patienten weniger Austauschoperationen und eine insgesamt komfortablere Behandlung.
NEUE HOFFNUNGEN AUCH FÜR DEPRESSIONSTHERAPIE
Doch nicht nur für Parkinson-Patienten könnte die moderne Neurostimulation von Vorteil sein. Auch in der Behandlung von therapieresistenten Depressionen zeigt sich Potenzial. Neben der tiefen Hirnstimulation wird bereits seit einigen Jahren die Vagusnerv-Stimulation eingesetzt. Diese Technik, bei der ein kleiner Impulsgeber unterhalb des Schlüsselbeins implantiert wird, hat sich bei Patienten mit schweren Depressionen als hilfreich erwiesen. Die Methode nutzt elektrische Signale, um Neurotransmitter-Aktivitäten zu regulieren und das emotionale Gleichgewicht zu stabilisieren. Studien zeigen, dass viele Patienten, die auf medikamentöse Therapien nicht ausreichend ansprechen, durch diese Behandlung eine deutliche Verbesserung erfahren können. Untersuchungen haben zudem gezeigt, dass depressive Symptome oft mit veränderter Hirnaktivität einhergehen. Die gezielte Stimulation bestimmter Regionen könnte langfristig dabei helfen, das Gleichgewicht im Gehirn wiederherzustellen. Dies würde insbesondere Patienten helfen, die bislang nur eingeschränkt auf Antidepressiva reagieren.

INTERNATIONALE ZUSAMMENARBEIT FÜR PRÄZISIONSMEDIZIN
Ein besonderer Meilenstein in der Weiterentwicklung der Tiefen Hirnstimulation ist die enge Kooperation der Uniklinik Köln mit internationalen Forschungseinrichtungen. So wird das neueste Projekt in diesem Bereich in Zusammenarbeit mit einem renommierten Experten vorangetrieben: Prof. Dr. Andreas Horn, der derzeit an der Harvard Medical School in den USA tätig ist, wird ab dem 1. Mai das Team in Köln verstärken. Sein Forschungsschwerpunkt liegt auf der Analyse neuronaler Netzwerke, die mit einer Verbesserung von Krankheitssymptomen nach neurochirurgischen Eingriffen korrelieren. Dabei werden unter anderem sogenannte Fasertrakte im Gehirn untersucht, die mit einer positiven Wirkung der Tiefen Hirnstimulation bei verschiedenen Erkrankungen wie Parkinson, Dystonie, dem Tourette-Syndrom und Zwangsstörungen in Zusammenhang stehen. Diese Verbindungen lassen sich mithilfe hochauflösender Hirnkartierungen sichtbar machen. Als anatomische Grundlage dient unter anderem das „BigBrain“-Modell, das mit einer Auflösung von 100 Mikrometern Einblick in feinste Strukturen ermöglicht (Amunts et al., 2013).
Visualisierungen zeigen beispielsweise, welche Faserverläufe bei Patienten mit Zwangsstörungen durch die elektrische Stimulation beeinflusst werden können. Moderne 3D-Modelle – etwa aus dem DISTAL-Atlas (Ewert et al., 2018) – helfen dabei, tiefgelegene Strukturen wie den subthalamischen Kern, den Globus pallidus oder den Nucleus ruber präzise zu lokalisieren. So entsteht ein immer besseres Verständnis dafür, wie individualisierte Hirnstimulation zu einer nachhaltigen Symptomverbesserung beitragen kann.

ZUKUNFT DER NEUROSTIMULATION
Die Forschung im Bereich der Neurostimulation entwickelt sich rasant weiter. Die Kombination aus hochmodernen Implantaten und intelligenter Software könnte in den kommenden Jahren zu einer noch gezielteren Behandlung führen. Für Parkinson-Patienten bedeutet dies eine neue Perspektive: Mehr Kontrolle über die eigene Körperbewegung und weniger Nebenwirkungen durch schwankende Medikamentendosen. Die Kölner Forscher sind optimistisch, dass die adaptive Hirnstimulation in Zukunft für noch mehr Patienten eine wertvolle Therapieoption sein wird. Die Möglichkeiten könnten sich zudem auf weitere neurologische Erkrankungen ausweiten. Forscher untersuchen derzeit, inwiefern diese Technik auch bei anderen Bewegungsstörungen oder sogar psychiatrischen Erkrankungen eingesetzt
werden kann. Ein umfassender Ansatz, der die individuelle Neurophysiologie eines Patienten berücksichtigt, könnte das gesamte Spektrum der neurologischen Behandlung revolutionieren.
Die Uniklinik Köln ist einer der Vorreiter in diesem Bereich. Mit der erfolgreichen Implementierung des neuen Systems setzen sie einen wichtigen Meilenstein in der modernen Neuromedizin. Patienten, die bislang nur eingeschränkte Behandlungserfolge erzielt haben, dürfen auf neue Möglichkeiten hoffen. Es bleibt abzuwarten, wie sich die Technologie weiterentwickelt und welche neuen Therapieformen in Zukunft möglich sein werden.

UNIVERSITÄTSKLINIKUM KÖLN (AÖR)
Univ.-Prof. Dr. med. Veerle Visser-Vandewalle – Direktorin der Klinik für
Stereotaxie und Funktionelle Neurochirurgie
KERPENER STR. 62 | 50937 Köln



